Yacht aus der DDR auf der Ostsee

Die kleine große Freiheit

In der noch nicht ganz so langen Geschichte des modernen Yachtsegelsports gelten die 1960er Jahre als die „heroische“ Zeit. An die legendäre Halfpence-Wette zwischen Francis Chichester und Herbert „Blondie“ Hasler darüber, wer schneller alleine segelnd den Atlantik überqueren könne, schlossen sich mehrere anspruchsvolle Einhand-Regatten an, die 1968 im Wettbewerb einer Nonstop-Weltumsegelung gipfelten – mit dem Sieger Robin Knox-Johnston, dem segelverrückten Aussteiger Bernard Moitessier und dem tragischen Verlierer Donald Crowhurst. Die westdeutsche Segelszene blieb von all dem nicht unberührt: So brach Wilfried Erdmann 1967 auf, um als erster Deutscher einhand die Welt zu umrunden. Anders in der DDR, dort konnten Yachtsegler zur gleichen Zeit von derartigen Touren allenfalls träumen, selbst ein nahe gelegenes Ziel wie die dänische Insel Bornholm blieb für die Allermeisten unerreichbar.

Dabei galt der ostdeutsche Staat als durchaus erfolgreiche Segelnation. Bei den Olympischen Spielen von 1964 hatten Segler aus der DDR ihren Teil zum Medaillenerfolg der noch gesamtdeutschen Mannschaft beigetragen. Mehr als 84.000 im Bund Deutscher Segler (BDS) organisierte Bootssportler ergab im gleichen Jahr eine Zählung für das Land. Diesen standen zwischen Ostsee und Erzgebirge insgesamt etwa 15.000 Segelboote zur Verfügung, wie die Statistiker mit breitem Daumen ermittelten, vom besegelten Delphin-Faltboot bis zur Hochseeyacht.

GO 99 „Arkona“ (SG Peene Anklam) auf der Ostsee

Der weitaus größte Teil dieser Boote lag in Binnenrevieren. Den Bezirken Berlin und Potsdam war beinahe die Hälfte aller Segelboote zugeordnet. Der Küstenbezirk Rostock folgte mit einigem Abstand auf dem dritten Rang und auch hier wurden vor allem Jollen für die Binnengewässer gezählt. Doch es existierten hochseetüchtige Yachten. 1967, als Erdmann sich auf den Weg machte, veröffentlichte das ostdeutsche Verbandsorgan Der Segelsport erstmals die Liste aller im RORC-Register des BDS verzeichneten Yachten. Hierbei handelte es sich um vermessene Schiffe, die somit an Regatten teilnehmen durften. Ein für die DDR ganz wesentlicher Faktor, was gleich noch zu erklären ist.

Mehr als 100 vergebene Segelnummern mit dem 1953 eingeführten nationalen Zeichen „GO“ sind in der Liste enthalten, von denen 80 namentlich samt Eigner und Sportgemeinschaft genannt werden. Der 1952 auf Kiel gelegte und auch heute noch segelnde Seekreuzer „Shanty“ von Heinz Achtenhagen eröffnet als „GO 1“ das Register.

Leere Eintragsnummern waren bereits an Schiffe vergeben, wie etwa die „Gisela“ aus Wismar mit der Kennung „GO 38“. Helmut Weinöhl – beruflich mit dem Faltbootbau an der Matthias-Thesen-Werft (MTW) befasst – baute zu dieser Zeit noch im Garten seiner Wismarer Wohnung an dem ambitionierten Projekt. Mit Unterstützung eines Tiefladers der sowjetischen Armee gelangte die Segelyacht einige Zeit später ins Wasser und vergrößerte die Flotte der BSG Hafen Wismar.

Dass die DDR-Segler weder nach Bornholm noch um die Welt kamen, hatte natürlich mit der Abschottung ihres Landes zu tun. Die „nasse Grenze“ im Norden galt den Machthabern zwar nicht so gefährdet wie die Demarkationslinie nach Westen, doch am Ende der sechziger Jahre war auch hier kaum noch ein Durchkommen. Segler ohne Sondergenehmigung durften die Binnengewässer der DDR nicht verlassen. Und wenn ein Segler die jährliche Sicherheitsüberprüfung überstanden hatte und die Genehmigung PM 18 (Seegewässer innerhalb der 3-Seemeilen-Zone) oder gar PM 19 (Erlaubnis zum Verlassen der Seegewässer der DDR) in der Hand hielt, war er oder sie noch lange nicht berechtigt dorthin zu segeln, wohin er oder sie wollte!

Regatten stellten praktisch die einzige Möglichkeit dar, um die etwas weitere Welt wie beispielsweise Bornholm kennenzulernen. Vor Beginn der Saison 1963 teilte der Segelsport seinen Lesern mit: „Aus der Arbeit der Kommission Seesegeln: Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit zum Verlassen der Territorialgewässer kommt nur für die Teilnahme an internationalen Seeregatten und für Leistungsfahrten im Auftrag des Präsidiums des BDS in Frage.“

Wen es hinaus in die weite Welt zog, sollte also über eine RORC-vermessene Yacht verfügen. In den 1950er Jahren rundeten die Großen Seewettfahrten während der Ostseewochen wiederholt die dänische Nachbarinsel, doch mit dem Mauerbau endete diese Freizügigkeit vorerst. 1967 lief die Langfahrt von Warnemünde über ein Wendeschiff am Adlergrund ins polnische Swinoujscie. Man blieb auf Distanz zum verbotenen Westen. Doch auch Segler dürfen träumen und tatsächlich tauchte im Zuge der deutsch-deutschen Entspannungspolitik Bornholm 1971 erstmals wieder in der Streckenbeschreibung auf.

Die nachfolgende Liste bildet deshalb wahrscheinlich für das Jahr 1967 recht vollständig den Bestand seegehender Yachten in der DDR ab, denn ohne Eintragung in das Register war eine artgerechte Nutzung der Seekreuzer kaum möglich.

RORC-Register des BDS vom 1. Juni 1967:

GONameEignerBSG
1ShantyH. AchtenhagenMotor Warnowerft
2Rostocker GreifH. RichterEinheit Rostock
3KranichLuftfahrtLuftfahrt
4StolteraSC Empor RostockSC Empor
5BukUni RostockHSG Rostock
6Wappen von WismarRat der Stadt WismarEmpor Wismar
7Ernst ThälmannGST Seesportschule GreifwaldGST Greifswald
8GerdaA. WitteEinheit Rostock
9Gooden WindW. BeckerEinheit Rostock
10Max ReichpietschGST Marineklub RostockGST Rostock
11StröperH. HellEinheit Rostock
12Fare WellE. LohmannAufbau Stralsund
13Horst LiebigVolksmarineASG Stralsund
14KranichVolksmarineASG Peenemünde
15DickerR. ZieglerEinheit Ueckermünde
16WaikikiW. BoyeEmpor Lauterbach
17AriadneUniversität GreifswaldHSG Greifswald
18StubberUniversität GreifswaldHSG Greifswald
19Rolling HomeA. TornowMotor Stralsund
20Seeteufel IIJ. SchüttSG Peene Anklam
21TidverdrivG. WiekEinheit Zinnowitz
22AntjeD. GrassmannMotor Stralsund
23(Neubau)U. RafothEinheit Rostock
24(Neubau)K. BeyerEinheit Potsdam
25(Neubau)W. HotzlerAufbau Neander Berlin
26LuchsFischkombinat RostockEmpor Rostock
27RostockWarnowwerftMotor Warnowwerft
28OrionWarnowwerftMotor Warnowwerft
29VenusWarnowwerftMotor Warnowwerft
30Sirius WarnowwerftMotor Warnowwerft
31WegaWarnowwerftMotor Warnowwerft
32HabichtVolksmarineASG Rostock
33HanseatFischkombinat RostockBSG Empor Rostock
34AtlantisG. DürrEmpor Wismar
35AtlantisW. SteinertSchiffahrt u. Häfen Rostock
36NeubauBraunEmpor Rostock
37NeubauSchreiberEmpor Rostock
38
39
40Berliner BärInteressengemeinschaftChemie Erkner
41HabakukDr. SubklewEinheit Greifswald
42?FieringMotor Stralsund
43Passat IIIBSG S. u. H. RostockS. u. H. Rostock
44Dorado IIA. KrauseEinheit Ueckermünde
45Min LewH. J. NeumannEinheit Greifswald
46WegaK. H. KossagRotation Babelsberg
47AdharaMagistrat von Groß-BerlinEmpor Brandenburger Tor
48GestaFischkombinat RostockBSG Empor Rostock
49
50VlimmusDr. GoldschmidtMotor Warnowwerft
51DingoEmpor SaßnitzEmpor Saßnitz
52
53SiriusH. TschubelTSG Wismar
54
55Mira IIW. AhrnsHSG Wissenschaft Riems
56RajaYachtwerft Berlin
57
58PassatW. RadickeEinheit Greifswald
59Käpt’n KidG. MöllerMotor Warnowwerft
60
61DarlingE. WachholzLuftfahrt Berlin
62VestaW. HypenbeckerEinheit Ueckermünde
63HeikeE. FröhlichMotor Stralsund
64Goode FrauR. MastmeierEinheit Greifswald
65
66StrelasundVolkswerft StralsundMotor Stralsund
67Albin KöbisGST WismarGST Wismar
68
69
70
71ZIS IZIS HalleMotor Wiek
72Seeschwalbe IIKarl FreudePeene Anklam
73Sturmvogel IIKurt FreudePeene Anklam
74MignonH. UngerEinheit Zinnowitz
75
76NordostBSG Hafen WismarBSG Hafen Wismar
77Sturmgesell IIDr. MüllerMotor Stralsund
78KismetE. HöppnerMotor Stralsund
79SchaukelpierdW. MenzelEmpor Wismar
80MaraK. AhrnsHSG Wissenschaft Riems
81Bris afJ. MöllerHSG Wissensch. Greifswald
82Dufte WanneW. FröhlichEinheit Fürstenberg
83DornbuschJ. GuldbrandtAufbau Stralsund
84AntaresProf. Dr. ScheibeEinheit Greifswald
85DryDr. DunkerEinheit Uckermünde
86PassatK. BaumeisterAufbau Mitte Berlin
87Happy endH. Lyschik
88VinetaH. SchuhmacherMotor Wolgast
89
90
91WikingR. SaborowskiEinheit Uckermünde
92
93KaringoP. NiehuesEinheit Rostock
94PinguinDr. MüllerEinheit Ückermünde
95CondorVolksmarineASG Stralsund
96Peer GyntH. J. AmtsbergEinheit Greifswald
97
98VinetaK. BaierSG Dynamo Süd Berlin
99ArkonaF. SchleusnerPeene Anklam
100AthenaMagistrat von Groß-BerlinEmpor Brandenburger Tor
110SwantiW. ZiebnerEinheit Rostock
131Dufte WanneW. LorenzMotor Stralsund

Mein Buch Der ferne Horizont. Eine Geschichte des Seesegelns in der DDR ist erschienen. Sie können den Titel im Buchhandel oder direkt beim Verlag erwerben!

10 Stimmen

5 Gedanken zu „Die kleine große Freiheit“

  1. Hallo, ich suche nach dem Verbleib von GO 99 Arkona aus Anklam. Es gehörte bis 1987 Fred Schleusner aus Anklam und wurde nach Berlin verkauft. Anfang der 90-er Jahre wurde das Boot noch auf dem Greifswalder Bodden gesichtet. Seitdem verliert sich die Spur. Vielleicht kannst Du mir bei der Suche helfen. Mein Vater würde gerne wissen, was mit der Arkona passiert ist.

    1. Hallo Lars, leider habe ich zur Arkona keine weiteren Informationen gefunden. Im BDS-Register ist der Besitzerwechsel nur ansatzweise dokumentiert, als neuer Eigner steht dort „Dr. Pohl“, aber es finden sich keine weiteren Angaben wie z.B. die neue BSG. Somit bleibt kein wirklicher Ansatzpunkt um weiter nachzuforschen. Viele Grüße, Rolf Bartusel

      1. Vielen Dank für die Information. Mein Vater hat das Boot an Dr. Pohl verkauft. Dieser hat es Anfang der 90er weiter verkauft. Es soll im Bereich Berlin Potsdam verblieben sein. Viele Grüße Lars Schleusner

  2. Sehr interessanter Beitrag, und wenn ich es richtig sehe, ist auf dem Bild der in Erkner beheimatete Berliner Bär zu sehen.

    Gruß Hendrik

    1. Hallo Hendrik, leider lässt sich die Segelnummer nicht erkennen, aber das dürfte tatsächlich die Yacht „Berliner Bär“ sein. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Thema und versuche den BDS-Yachtbestand aus DDR-Zeiten zu identifizeren. Viele segeln ja heute noch, nicht nur die populären Hiddensee-Vierteltonner, von denen ich am vergangenen Wochenende eine bei Werder auf dem Wasser gesehen habe. Falls Du weitere Infos hast oder selber auf einer BDS-Yacht segelst, bin ich sehr interessiert.
      Viele Grüße, Rolf

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